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Rainer W. Janka, Klassik-heute

10-10-10 - Klassik Heute Empfehlung: "oft überraschend, aber immer logisch, klar, durchdacht"


"Wenn die Pianistin Alexandra Sostmann etwas in die Hand, bzw. unter ihre Finger nimmt, hat das immer Überzeugungskraft und gibt einem das Gefühl des Nur-So-Richtigen. Klug überlegt sind ihre Programme und CD-Zusammenstellungen. Sie hat sich in Bachs Wohltemperiertes Klavier gedanklich geradezu hineingegraben, aber es ist kein Gegrübel herausgekommen, sondern einfach wundervoll klingende und singende Musik. Im sehr persönlich gehaltenen Booklet spricht sie aus, wie sie Bach spielen will: nicht romantisch, aber kantabel und immer lebendig artikulierend. Genau das ist ihr gelungen. Souverän schifft sie zwischen der Scylla der Nähmaschinen-Ästhetik und der Charybdis der Romantisierung durch, eben die Mitte, das Maß, findend und haltend. Mir scheint es auch so, dass das Studium bei Evgeni Koroliov ihr die Gedankentiefe vermittelt hat, die hier zu musikalischer Schönheit wird.

   

Gedankenvoll, aber nicht gedankenschwer ist ihr Bach-Spiel, gemessen, das heißt: immer das richtige Maß findend, und damit immer angemessen, immer wohldurchdacht, immer voller Sorgfalt und damit voller natürlicher Klarheit, voll gewaltiger Gelassenheit, dabei aber immer mit bebender Binnenspannung. Vor allem aber: immer höchst lebendig, singend, bisweilen straff oder sanft swingend, immer aber: bezwingend. Zwischendurch durchaus vital und zugleich tänzerisch schwebend wie das Cis-Dur-Präludium (CD I, Track 5) und graziös-virtuos wie in der Cis-Dur-Fuge (CD I, Track 6), im D-Dur-Präludium (CD I, Track 9) mit dem Quasi-Pizzicato-Bass und im springlebendigen Fis-Dur-Präludium (CD II, Track1.) Die fünfstimmige Tripel-Fuge in cis-Moll (CD I, Track 8) beginnt Sostmann in ruhig-melodischem Fluss, anfangs fast vorsichtig suchend, steigert dann die Intensität hin zum wuchtigen Strömen bis zum „pesante“ einsetzenden Thema im Bass: eben „bezwingend“. In den an Passionsmusiken gemahnenden Stücken verliert sie sich nicht ins tränenüberströmte Leid, sondern bleibt auch da zwar elegisch, gewinnt aber mehr durch innige Verhaltenheit, durch gemessene, ist gleich: zugemessene, Emotion. Kantig-herb kommt das fis-Moll-Präludium (CD II, Track 3) daher, geistvoll und nicht schwerblütig die darauffolgende Fuge. Sprudelnde Fröhlichkeit herrscht im G-Dur-Präludium (CD II, Track 5).

   

Alexandra Sostmanns Phrasierungen sind oft überraschend, aber immer logisch, klar, durchdacht – und mehr an ein Clavichord gemahnend als an einen modernen Flügel. Das toccatenhaft-effektvolle Präludium B-Dur- Präludium (CD II, Track17) nimmt die Pianistin in rhythmisch freier Artikulation fast improvisatorisch-rhapsodisch. Dynamische Schattierungen verlebendigen immer alles.

Der Steinway-Flügel wirkt überraschend hell im Klang, leicht anspringend, durch die Verwendung des von Sostmann scherzhaft so benannten „Sokolov-Pedals“ (eine Einstellung des linken Pedals, die eine längere Klangdauer ermöglicht) manchmal leicht orgelhaft – einfach ungemein variabel und lebendig.

Hervorragend eingefangen ist der Klang des Flügels. Man hat als Hörer den Eindruck, man sitze selber als Pianist am Klavierhocker. Auch hier: höchste Verlebendigung."





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