Cathy Krier ist sicher nicht die erste Künstlerin, die sich für die Frage interessiert, wie aus Literatur Musik werden und das geschriebene Wort so eine ganz neue Dimension hinzugewinnen kann. Das Programm, das die luxemburgische Pianistin daraus entwickelt, verdient aber – wie eigentlich immer – das Prädikat außergewöhnlich. Die Bandbreite ihrer „Piano Poems“ reicht von Franz Schubert und Franz Liszt bis Catherine Kontz.
Den Anfang macht allerdings eines der faszinierendsten und schwierigsten Werke der gesamten Klavierliteratur. Maurice Ravel setzt in „Gaspard de la nuit“ (1908) Prosagedichte von Aloysius Bertrand in Szene und schafft dabei eine ganz eigene Phantasiewelt, in der der irrlichternde Gesang einer Wassernixe von düsteren Totenglocken abgelöst wird, ehe der Kobold Scarbo sein Unwesen treibt. In diesem letzten, sich immer wieder überschlagenden Satz blickt selbst Cathy Krier auf die „Grenze des Spielbaren“. Doch ihre Interpretation ist nicht nur technisch meisterhaft, sie vermittelt auch einen aufregenden und äußerst bedrohlichen Eindruck von den albtraumhaften Vorgängen.
Die Geschichte, die Sergej Prokofjews Ballett „Cinderella“ (1944) zugrunde liegt, erzählt sich sehr viel einfacher, zumal der Komponist sie noch in drei Suiten verdichtet hat. In den „Sechs Stücken op.102“ kann man also hören, was geschieht, und doch darf sich in der hintergründigen, irisierenden Darbietung von Cathy Krier niemand sicher sein, alle Details auf Anhieb wahrgenommen zu haben.
Zwischen Ravel und Prokofjew platziert die Pianistin die Liszt-Transkriptionen von Schubert-Liedern (1837-40), in denen das hochromantische, sich selbst inszenierende Virtuosengenie nur selten Zeit findet, die zugrunde liegenden Texte auszudeuten oder auch nur zu illustrieren. Konstantia Gourzis´ Klavierstück „Ithaka“ (2023), das sich auf einen Text von Konstantinos Kavátis bezieht, lädt dann zu einer musikalischen Reise ein, auf der neben dem Klavier auch Superballs, Klangschalen und Edelsteine zur Klangerzeugung genutzt werden.
Catherine Kontz trägt in ihrem für Cathy Krier geschaffenen Werk „Murmuration“ (2022) eine weitere Variante zu den „Piano Poems“ bei. Mit einem performativen Ansatz verwandelt sie das Dichter und Musiker inspirierende Phänomen der Vogelschwärme in eine magische Klangsprache.
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