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Martin Blaumeiser, Klassik Heute

"Die Bowen-Einspielung verdient eine klare Empfehlung."

"Das 20. und bisherige 21. Jahrhundert brachten uns recht viele hochinteressante und natürlich technisch ungemein herausfordernde Konzerte für Bratsche & Orchester, von denen sich auch einige stets im Repertoire gehalten haben. Zwischen 1900 und 1910 sah dies noch anders aus, so dass damals etwa ein Virtuose wie Lionel Tertis schon international bei Komponisten um ein Werk für sein Instrument anklopfen musste. Die hier von der Deutschen Radiophilharmonie (Saarbrücken & Kaiserslautern) unter Brett Dean eingespielten Violakonzerte von York Bowen (1884–1961) und William Walton (1902–1983) entstanden beide für Tertis. War das ambitionierte, über 36-minütige Werk Bowens 1908 ein durchaus zeitgemäßer, freilich noch ganz romantischer Beitrag, lehnte Tertis 1929 das Konzert William Waltons zunächst als zu modern ab und überließ die Uraufführung keinem Geringeren als Paul Hindemith.

    

Waltons Meisterwerk mit seiner charakteristischen, ambivalenten Sextschaukel (c‘-e/a-cis) zwischen den Tongeschlechtern gehört freilich – in der durchsichtiger instrumentierten Revision von 1962 – längst zum Standardkanon. Was für ein Luxus-Klangkörper die Berliner Philharmoniker sind, zeigt sich an deren beiden 1. Solobratschern, die nun – zufällig (?) fast gleichzeitig – das Walton-Konzert herausgebracht haben. Amihai Grosz und dessen quasi Pultnachbarn Diyang Mei – der 2018 den ARD-Wettbewerb gewann und seit 2022 in Berlin wirkt – gegeneinander ausspielen zu wollen, ist ein aussichtsloses Unterfangen, so überzeugend bewältigen beide dieses Stück. Bei Mei fällt auf, dass seine Mariani-Viola immer enorm seidig klingt, ohne eine Spur nasaler Anteile, zugleich auf der C-Saite das typisch Geheimnisvolle bewahrt. Mei beherrscht sowohl die starken lyrischen Momente des Konzerts als auch den oft nötigen, harten und rhythmisch prägnanten Zugriff. Der Australier Brett Dean – einst selbst Bratscher bei den Berlinern, nun längst primär als äußerst erfolgreicher Komponist unterwegs – dirigiert in erster Linie auf sehr klare Durchsichtigkeit hin. Er weiß genau, welche Balance beim empfindlichen Zusammenspiel mit seinem Solisten nötig ist, realisiert dies dabei leider – wie Rattle – mit etwas zu viel britischem Understatement, sogar im großen fugierten Zwischenspiel des Finales. Waltons stellenweise doch vorhandener emotionaler Überschwang – man höre Nigel Kennedy mit André Previn – kommt so ein wenig zu kurz. Aufnahmetechnisch gibt es wenig zu bemängeln; die Berliner Produktion klingt eine Spur direkter und räumlicher: Geschmackssache.

    

York Bowen blieb zeitlebens im spätromantischen Fahrwasser, so dass selbst sein wirklich fantastisches Klavierwerk insbesondere in Deutschland lange als nicht zeitgemäß galt – von den Konzerten ganz zu schweigen. Erfreulich, dass dieser völlig unterschätzte Komponist hier eine fabelhafte Darbietung erfährt. Von den erst wenigen Aufnahmen seines Violakonzerts begeisterte den Rezensenten bisher am meisten Lawrence Power – mittlerweile ein Weltstar. Diyang Mei zieht aber auch bei diesem Stück gleich, mit emotional glaubwürdigem Tiefgang – herrlich im 2. Satz – und stupender Technik, etwa in der gewichtigen Kadenz des Finales. Und überraschenderweise geht hier ebenso Brett Dean weit mehr aus sich heraus als Martyn Brabbins. In Kaiserslautern scheint der Funke des fetten, formal wie inhaltlich großartigen Schinkens voll übergesprungen zu sein: Die Bowen-Einspielung verdient eine klare Empfehlung."




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