"Die Geigerin Laura Zarina adelt alle diese Kompositionen mit nobler, warmer und singender Tongebung, die sich den Werken anschmiegt wie ein maßgeschneidertes Kleid"
- Klassik Heute
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Dass ein Konzept-Album mit dem Titel „Echoes of Latvia“ – auf dem Aspekte der lettischen Musikgeschichte vom 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart buchstäblich „durchgespielt“ werden – bei dem spannenden, hierzulande leider immer noch viel zu wenig bekannten lettischen Label SKANi erscheint, ist nur konsequent. Vorab ein paar Worte zu SKANi (das lettische Wort „skani“ heißt übersetzt „erklingen“): das Label ist dem „Latvian Music Information Center“ angeschlossen und es repräsentiert mit seinen (Stand heute) rund 170 Alben – ähnlich wie das dänische Label Dacapo Records – die klingende Kultur seines geographisch zwar kleinen, in musikalischer Hinsicht jedoch großen Landes. Nicht nur die Komponistinnen und Komponisten, sondern – wie auch im vorliegenden Fall – die Interpretinnen und Interpreten haben zumeist einen lettischen Background. Die in Deutschland lebende und lehrende Geigerin Laura Zariņa und ihre Klavierpartnerin Agnese Egliņa setzen sich seit Jahren für die Musik ihres Landes ein. „Echoes of Latvia“ ist ihr erstes gemeinsames Album.
Im Zentrum des Albums stehen fünf Klavier-/Violinwerke von Lūcija Garūta (1902–1977). Garūta war eine der berühmtesten Komponistinnen ihrer Zeit in der damaligen Lettischen Sozialistischen Sowjetrepublik (LSSR), zudem Konzertpianistin und Dozentin für Musiktheorie an der Lettischen Musikakademie Jāzeps Vītols. Die Werke heißen (in deutscher Übersetzung) Lettisches Volkslied, Dramatischer Moment, Im Herbst, Gebet und Largo e Andante religioso und dauern im Schnitt rund fünf Minuten. Sie sind spätromantisch empfunden, zum Teil sehr suggestiv (Gebet) und impulsiv (Dramatischer Moment) und wirken trotz gelegentlicher Reminiszenzen an den klassisch-romantischen Kanon (fast) nie epigonal. Zariņa und Egliņa fühlen sich in Garūtas Musiksprache spürbar zuhause und machen neugierig, weitere Werke dieser hierzulande noch viel zu wenig bekannten Komponistin kennenzulernen. Da SKANi ihr schon drei Alben gewidmet hat – eines mit Chorwerken („Apple Tree“, LMIC 153), eines mit Liedern („Sacred Love“, LMIC 150) und eines, auf der unter anderem ihr Klavierkonzert von 1951 zu hören ist (LMIC 058) – ist die Möglichkeit dafür gegeben.
Interessant und der Anschaffung wert ist das Album allein schon wegen der Werke von Lūcija Garūta. Regelrecht spannend wird es, weil die beiden Interpretinnen diese in einen Dialog mit Stücken treten lassen, welche die sechs lettischen Gegenwartskomponistinnen Renāte Stivriņa (Jg. 1985), Anne Veismane (Jg. 1976), Ruta Paidere (Jg. 1977), Sabīne Ķezbere (Jg.1985), Dace Aperāne (Jg. 1953) und Selga Mence (Jg. 1953) zum Teil eigens für das Duo komponiert haben. Auch diese Werke tragen sprechende Titel wie etwa (in deutscher Übersetzung) Wellen kommen und Wellen gehen (Stivriņa), Linien. Schnittpunkte (Paidere) oder Zwischen dem See und dem Meer (Mence) und vermitteln faszinierende Einblicke in die aktuelle weibliche Kompositions-Szene Lettlands. Die Werke von Garūta und den übrigen Komponistinnen erklingen im steten Wechsel, was ihre Dialogizität – das Wort hier durchaus im Sinne der Intertextualität verstanden – befördert und unterstreicht. Viele der modernen Stücke beziehen ihre Inspiration entweder aus literarischen Vorlagen – Eine andere Stimme von Ķezbere beruht auf dem gleichnamigen Gedicht der lettischen Autorin Jana Egle – oder, wie etwa Linien. Schnittpunkte von Paidere, aus der bildenden Kunst, hier: aus Bildern und Skulpturen der deutsch-venezuelischen Künstlerin Gertrud Goldschmidt alias Gego.
Mögen die Werke, vor allem der zeitgenössischen Komponistinnen, im Einzelnen noch so unterschiedlich sein, lassen sich doch gewisse „Familienähnlichkeiten“ feststellen, um es mit dem Philosophen Ludwig Wittgenstein zu sagen. Keines ist harsch dissonant oder gar atonal, alle, auch das abstrakteste, The Target betitelte Stück von Veismane, eröffnen suggestive Hör-Räume, die aus (Kunst-)Landschaften, Wellen, Seen und Meeren gebildet sind und den baltischen Background stets mit durchscheinen lassen. Die Geigerin Laura Zarina adelt alle diese Kompositionen mit nobler, warmer und singender Tongebung, die sich den Werken anschmiegt wie ein maßgeschneidertes Kleid und ihre Individualität dabei herausstellt. Agnese Egliņa entpuppt sich als ebenbürtige Klavierpartnerin. Wer dieses Album am Stück durchhört – sein überzeugendes Konzept lädt eindringlich dazu ein! –, kann nachvollziehen, warum die lettische – und mit ihr die baltischen Musik – auf dem Gesang beruht.
Dr. Burkhard Schäfer

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