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Stefan Sell, Crescendo

Ein Diener der Musik

Als 15-Jähriger überraschte er die Klassikwelt mit seinem Debüt: Der österreichische Geiger Thomas Albertus Irnberger traute sich an Tschaikowskis Violinkonzert. Nun, mit nur 39 Jahren, hat er bereits 65 Alben veröffentlicht.

Interview mit Stefan Sell in Crescendo


Irnberger ist ein ausge­spro­chen kundiger Verehrer der Renais­sance, verleiht Altem neues Licht, lässt mit Erkennt­nissen der heutigen Welt die Wirk­lich­keit der vergangen wieder erscheinen und weiß den Wider­hall auf das Jetzige anzu­wenden. Im Dialog zwischen Werk und Entste­hung werden seine Inter­pre­ta­tionen lebendig – virtuos, viel­schichtig, unver­wech­selbar. Ein tiefes Verständnis dessen, was er spielt, und eine uner­schüt­ter­liche Unab­hän­gig­keit sind die Prämissen seines Tuns. Letzt­lich trägt alles seine persön­liche Note. Irnberger vermag das Eine im Vielen zu sehen. Sein Können wurde ihm viele Male beschei­nigt, ein sicheres Stil­ge­fühl allemal.


Herr Irnberger, man könnte fast sagen: 100 Jahre Gramola, und die meisten Alben haben Sie einge­spielt?

Ja (zögert kurz), ja, das kann man tatsäch­lich so sagen. Es erscheint jetzt bald das 65. Album, drei weitere sind in Planung, unter anderem mein Sibe­lius-Album und eine Bruch-Einspie­lung mit dem Royal Phil­har­monic Orchestra, eine mit Haydns Violin­kon­zerten und dem Doppel­kon­zert für Violine und Hammer­kla­vier erscheint im Dezember.

Hört man beispiels­weise das bekannte, viel gespielte Andante aus Schu­berts Piano-Trio Nr. 2, D929 mit Ihnen, fragt man sich: Woher nehmen Sie Ruhe und Gelas­sen­heit bei Ihrem äußerst regen Tun, in diesem einen Moment alles beisei­te­zu­schieben und einfach präsent zu sein?

Das ist das Resultat einer sehr konse­quenten Vorbe­rei­tung, weil mir schon als Teen­ager klar war: Als Inter­pret muss man immer ein Diener der Musik sein. Um rüber­zu­bringen, was der Kompo­nist gemeint hat, ist ein gewisses Hinter­grund­wissen uner­läss­lich. Es dauert viele Jahre bis man in der Lage ist, einen gewissen Moment, eine gewisse Empfin­dung zu trans­por­tieren.

Was vermut­lich eine sehr komplexe Heran­ge­hens­weise bedeutet?

Malerei, Lite­ratur, Musik – das ist etwas, was nicht ohne einander funk­tio­niert und gleich­zeitig einander befruchtet. Die ganz großen Kompo­nisten hatten immer auch mit den Schrift­stel­lern und Malern ihrer Zeit engen Kontakt, da war stets ein Austausch. Ich nutze alle Möglich­keiten, die wir heute haben, um so viel wie möglich über das Stück, den Kompo­nisten und seine persön­li­chen Lebens­um­stände während der Entste­hung zu erfahren.

Haben Sie ein Beispiel, wie man sich das vorzu­stellen hat?

Ja, die e‑Moll-Sonate KV 304 hat Mozart in der Zeit geschrieben, als seine Mutter gestorben ist. Dazu gibt es ein berühmtes Inter­view von Niko­laus Harnon­court, worin er behauptet, es sei Mozart egal gewesen, in welcher Stim­mungs­lage er sich befunden hätte. Wenn er tief­traurig war, konnte er fröh­liche Musik schreiben – und umge­kehrt. Diese Meinung teile ich nicht. Die e‑Moll-Sonate  hat ein Allein­stel­lungs­merkmal, Mozart hat kein vergleich­bares Werk mehr in e‑Moll geschrieben. Das Menuett hat einen wehmü­tigen Charakter und ist für mich eine Art Requiem. Diese Sonate ist einmalig. Ich glaube, unter anderen Umständen hätte er nie so ein Stück geschrieben.



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