"Es ist noch nicht allzu lange her, da hätten die meisten Musikfreunde auf die Frage nach Komponistinnen des 19. Jahrhunderts nicht viel mehr als Clara Schumann geantwortet. Heute wissen wir, dass die Geschichte deutlich reicher und vielgestaltiger war. Trotzdem gibt es noch immer viel zu entdecken, wie das Debütalbum der jungen österreichischen Pianistin Mitra Kotte beweist.
Ihre Reise durch ein Jahrhundert, präzise gesagt durch 110 Jahre weiblichen Komponierens, beginnt 1837 mit dem „Souvenir des Huguenots“, das Louise Farrenc über einen von Giacomo Meyerbeer opernhaft ausstaffierten Luther-Choral schrieb. Mitra Kotte formt die Variationen zu einer virtuosen Ouvertüre, die hohe Erwartungen an die Originalität der Stücke, aber auch an die pianistischen Fähigkeiten weckt.
Beide werden nicht enttäuscht, denn Korte präsentiert in den folgenden rund 75 Minuten eine Fülle weiterer Kleinodien, die das Publikum über Emilie Mayers gediegenen Walzer „Tonwellen“ und Marie Jaëlls fantastisches Impromtu (beide 1871) zunächst ans Ende des 19. Jahrhundert führen. Mitra Korte inszeniert mit großem Geschick und Einfühlungsvermögen die jeweils ganz eigenen Klangwelten von Luise Adolpha Le Beau, Cécile Chaminade und Amy Beach, wobei Chaminades Klaviersonate op.21 sicher zu den Highlights der gesamten Einspielung gerechnet werden darf.
Mit vier Stücken aus Dora Pejačević´ Zyklus „Blumenleben“ und Nadia Boulangers „Vers la vie nouvelle“ geht es ins 20. Jahrhundert. Weibliches Komponieren, obwohl noch immer von Männern argwöhnisch beobachtet, wird nun immer selbstverständlicher, freier und zielbewusster. Nadia Boulangers „Weg in ein neues Leben“, ein Stück Hoffnung, das aus dem Dunkel des Ersten Weltkriegs herausscheint, hat hier durchaus programmatischen Charakter.
Zwei kleine, noch viel zu wenig bekannte Meisterwerke schließen die Jahrhundertreise ab. Die im Alter von nur 25 Jahren verstorbene Vítězslava Kaprálová, die in jüngster Zeit wieder viel Beachtung gefunden hat, schrieb 1937 vier „Aprilpräludien“, die in acht Minuten ein Kaleidoskop unterschiedlichster Gefühle und Eindrücke Revue passieren lassen.
Genau zehn Jahre später brachte Maria Hofer eine ebenfalls achtminütige und ebenso bemerkenswerte Komposition zu Papier. Ihr spektakuläres Klavierstück „Die Maschine“ ordnet sich als Toccata in eine jahrhundertealte musikalische Tradition ein. Sie zeigt mit viel Esprit und motorischer Wucht aber ganz sicher auch, dass Frauen mit einem zentralen Gestaltungsmoment der Moderne nicht weniger souverän umgehen können als ihre männlichen Kollegen."

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