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"Im Grunde möchte man das Album dann einfach noch einmal hören und die Elemente des Lebens zum wiederholten Mal genießen."

Katja ZakotniK, Orchestergraben

Wussten Sie‘s? Wasser kann unter bestimmten Umständen gleichzeitig gefrieren, verdampfen und weiterhin fließen. Der Punkt, an dem das passiert, wird „Tripelpunkt“ genannt. Der Pianistin Lisa Maria Schachtschneider gelingt mit ihrem neuen Album „Planet Earth“ weitaus mehr als das und ihr musikalisches „Quadrupel“, inspiriert durch die Elemente Wasser, Erde, Luft und Feuer, hat etwas von einer Ganzohr-Massage.

Lisa Maria Schachtschneider lebt in der Schweiz und weiß die schöne Natur dort zu schätzen. Und doch sind die schweizer Grenzen keinesfalls ihre eigenen: Die Pianistin beschäftigt sich nicht nur mit westlicher, sondern auch mit indischer Musik, was für angehende Musiker*innen durchaus Vorbildcharakter haben könnte. Dass ihr Album mit dem Element „Wasser“ beginnt, wundert also nicht, ist es doch nicht zuletzt in Indien ein großes Thema. Umso schöner sprudeln die Töne aus Franz Liszts „Au lac de Wallenstadt“ (komponiert 1835) als Eingangsstück des Albums. Lisa Maria Schachtschneiders klares, wunderbar artikuliertes Spiel setzt eine starke Vorstellung des Walensees, an dem die Künstlerin auch wohnt, frei.

Bereits an zweiter Stelle des Albums findet sich das Werk einer Frau, der Komponistin Faustina Hasse Hodges, (1823-1895). Sie ist nicht die einzige Komponistin auf dieser CD, sondern wird einige Kolleginnen einreihen, was in der Orchestergraben-Redaktion durchaus für Verzückung sorgt. Hasse Hodges war eine in England geborene Amerikanerin, die das New Yorker Publikum mit ihren Liedern begeisterte und Können sowie ein feines Gefühl für das kompositorische Handwerk bewies. Während in ihrem “Lake Shore Dream” Arpeggien in der linken Hand das Wasser blubbern lassen, setzte Faustina Hasse Hodges eine süße Melodie in die rechte. Lisa Maria Schachtschneider gestaltet diese mit viel Geschmack, lässt die Bravour erklingen, ohne es schnulzig werden zu lassen. Das allein hätte schon ein gewisses Ohrwurm-Potenzial, würde nicht Maurice Ravels Jeaux d’eau (komponiert 1901) folgen, ein absoluter Hit der Klavierwelt. Lisa Maria Schachtschneider nimmt das Stück perlend leicht. Häufig wird dieses Werk härter „angepackt“, doch diese feine Interpretation hat etwas für sich, erinnert an kristallene Wasserfälle und den „Flussgott, der lacht, weil ihn das Wasser kitzelt“ – ein Zitat, mit dem Ravel selbst das Stück überschrieb. Die Musik strotzt nur so vor technischen Raffinessen: da werden zum Beispiel die Hände am Klavier verschränkt oder ganze Akkorde getrillert. Lisa Maria Schachtschneider verwandelt diese Herausforderungen in Eleganz.

Einen interessanten Kontrast bildet das schwer anmutende Werk „In Memoriam“ von Ruth Bakke (geb.1947). Die Komponistin schrieb es im Protest gegen die Trockenlegung eines Sees und die Musik überträgt darin eine fast apokalyptische Stimmung. Die Norwegerin Ruth Bakke, kaum bekannt, schreibt am liebsten für Orchester und tatsächlich hat diese Komposition etwas Symphonisches und schließt den Teil des Elements „Wasser“ düster und doch kraftvoll ab.

Wenn es um das Element “Erde” geht, stellt sich die – lediglich rhetorische – Frage: Wer könnte geerdeter sein als die Komponistin Amy Beach (1867-1944)? Die Amerikanerin durfte viele Jahre ihres Lebens nur sehr wenig komponieren, weil es ihr durch ihren Ehemann verboten war. Sie empfand ihre Rechte als extrem eingeschnitten (was sie de facto auch waren). Denn sie hatte ein herausragendes Talent und spielte nicht nur, sondern transponierte sogar mit vier Jahren Stücke in andere Tonarten am Klavier. Als ihr wesentlich ältere Ehemann starb, begann Amy Beach ein neues Leben. Sie schrieb als erste Amerikanerin überhaupt eine Symphonie und führte sie auch auf. 

Lisa Maria Schachtschneider wählt ihre fünf Stücke “From Grandmother’s Garden” Op.97. Die Stücke fallen in die Zeit nach dem Tod von Henry Beach, in der Amy Beach in New York lebte und arbeitete. Sie gründete in dieser Lebensphase die „Association of American Women Composers“, um andere Frauen in ihrem Wunsch, Komponistin zu werden, zu bestärken. Der Garten, der hier musikalisch von Lisa Maria Schachtschneider vortrefflich dargestellt wird, dreht sich um Stiefmütterchen, Walderdbeeren, Rosmarin, Weinrauten… eben, was so ein Frühling eben so hervorsprießt.

Eine weitere Komponistin schließt das Element “Erde” ab. Es ist die tiefgläubige Katholikin Martha von Castelberg (1892-1971). Ihre Klaviersonate ist dreisätzig angelegt: Allegro – Adagio – Rondo als Finale. Das harmonisch interessante Adagio gelingt Lisa Maria Schachtschneider besonders innig, vor allem durch das Leiten der Basslinien in der linken Hand und das Führen durch die Tonarten.

Dass im Element “Luft” zunächst das Prélude “Voiles” (deutsch: Segel, komponiert 1909) von Claude Debussy durch das Album weht, ist eine wohltuende Verneigung vor dem Impressionismus. Debussy selbst sagte man nach, er sei ein Meister in der Verbindung fremdartiger Akkorde und in der Behandlung des Klavierpedals gewesen. Genau das macht seine Werke so schwer zu interpretieren – ganz gleich, auf welchem Instrument. Die harmonische Klarheit, die Lisa Maria Schachtschneider in ihrer Aufnahme überträgt, hat etwas für sich und lässt neugierige Ohren aufhorchen.

Die “Träumereien” Op. 11 von Sophie Gräfin Wolf Baudissin (1818-1894) entlocken schon mal ein Lächeln. Es sind einfach sehr süße Stückchen, die die Komponistin und Schriftstellerin Ende des 19. Jahrhunderts zu Papier gebracht hat.

Zum Abschluss des “Luft”-Blockes lässt Lisa Maria Schachtschneider Franz Liszt zu Wort kommen. Im “Orage”, einem Gewitter, entlädt sich nicht nur die Ladung von Luftteilchen, sondern womöglich auch die Sehnsucht der Zuhörer*innen nach einem Werk, das ein gewisses lautes Chaos überträgt, wie es in die Welt gehört. Lisa Maria Schachtschneider nimmt die Kraft der Naturgewalt wörtlich und überträgt sie meisterhaft ins Musikalische, so dass es eine große Freude ist, zuzuhören.

Schlussendlich erwartet die Zuhörer*innen noch das Element “Feuer”, das den Herren Claude Debussy, Alexander Skrjabin und Igor Strawinsky gewidmet wird. Das “Feux d’artifice”, ein Feuerwerk, das Debussy 1913 komponierte, erzeugt große Spannung, gerade weil es nie direkt ausbricht, sondern von Ferne zu gesehen scheint. Dagegen muss Skrjabins “Vers la flamme” näher klingen, hat er es doch angeblich aufgrund einer apokalyptischen Vision während einer Zugfahrt (!) geschrieben. Mit dem sehr gelungenen “danse infernale” aus dem “Feuervogel” von Strawinsky (komponiert 1919) schließt das Album perfekt ab. Lisa Maria Schachtschneider fasst ein ganzes Orchester in die Klaviertasten ein und ruft in Erinnerung, dass dieses Werk Strawinsky auf einen Schlag berühmt machte. Wer das hört, verbleibt womöglich wie vom Donner – oder vielmehr hier der Hölle – gerührt zurück. Im Grunde möchte man das Album dann einfach noch einmal hören und die Elemente des Lebens zum wiederholten Mal genießen."





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