Ein Gastbeitrag von Beatrice Ballin im Orchestergraben
Der Bratschist Diyang Mei bringt mit seiner neuesten CD ein musikalisches Kleinod auf den Markt: die selten interpretierten Bratschenkonzerte der britischen Komponisten York Bowen und William Walton. Beatrice Ballin befragte ihn zu seiner Einspielung, seinem Instrument und seinem Leben.
Diyang Mei, Bratsche und Briten – beide sind in der Welt der klassischen Musik unterrepräsentiert: Großbritannien hat immer von den Komponisten des Kontinents profitiert, aber nur wenige eigene bedeutende Komponisten hervorgebracht. Die Bratsche wurde wiederum von den Komponisten aller Epochen weitgehend stiefmütterlich behandelt. Nun ist Ihnen mit Ihrer neuen CD gelungen, beide in den Fokus zu stellen. Was gefällt Ihnen an den Kompositionen von York Bowen und William Walton?
Ich schätze die Ausdruckstiefe und die harmonische Vielfalt in ihren Kompositionen. Beide haben ein einzigartiges Gespür für die Klangfarbe der Bratsche und schaffen es, ihre emotionale Bandbreite voll auszunutzen.
York Bowen hat vor allem Sinfonien und Werke für das Klavier komponiert. William Walton begann seine Karriere mit der Komposition von Chor- und Orgelwerken. Was hat die beiden dazu inspiriert, Konzerte für Bratsche zu komponieren?
Beide Konzerte wurden für den berühmten britischen Bratschisten Lionel Tertis geschrieben. Bowen und Walton waren von der Klangfarbe und dem Ausdruck der Bratsche fasziniert und wollten ein oft übersehenes Instrument ins Licht rücken, um zu zeigen, dass es ebenso viel Solo-Potential hat wie andere solistische Instrumente.
Die meisten Komponisten ignorieren die Bratsche als Konzertinstrument, obwohl sie ebenso viele solistische Qualitäten hat wie die Stars der Streichinstrument Geige und Cello. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Das könnte an der historischen Vorliebe für andere Streichinstrumente liegen, die mehr im Mittelpunkt stehen. Aber viele wissen nicht, dass viele großartige Komponisten und Dirigenten auch hervorragende Bratschisten waren, wie Mozart, Beethoven, Dvořák, Christian Thielemann und Manfred Honeck. Zudem ist die Bratsche klanglich komplex und erfordert eine andere Technik und Ausdrucksweise, was es schwierig macht, sie richtig zu erfassen. Das hat dazu geführt, dass es früher nicht viele gute Bratschisten/innen gab, aber seit dem 20. Jahrhundert gibt es immer mehrere talentierte Musiker/innen, und immer mehr Komponisten/innen, die wie Walton und Bowen für die Bratsche Werke geschrieben haben, wodurch unser Repertoire schnell wächst.
Sie haben als Kind zunächst Violine gespielt. Wann haben Sie beschlossen, auf die Bratsche umzusteigen und was schätzen Sie an ihr?
Ich habe mit etwa 10 Jahren die Entscheidung getroffen. Als 10-jähriger Junge wollte ich schnell erwachsen werden, und da erschien mir die Bratsche genau richtig. Die Bratsche ist größer, und sie zog mich mit ihrem resonanten, warmen Klang und ihrem leicht rauchigen, magischen Ton an, der eine gewisse Melancholie und Mystik ausstrahlt.
Sie sind in China geboren und aufgewachsen. Wie kamen Sie mit der europäischen Musik in Kontakt?
Ich hörte zum ersten Mal europäische Musik, als meine Mutter mir schwanger war. Sie glaubte, dass Bachs Musik die Intelligenz von Babys fördern könne. Das hat meine Liebe zur Musik geprägt, nicht nur zur europäischen oder klassischen Musik, sondern auch zu Pop, Jazz und sogar zur chinesischen Musik. Wirklich für klassische Musik interessierte ich mich jedoch erst mit 10 Jahren, als ich die Bratsche entdeckte. Meine musikalische Ausbildung in Peking und das Hören von Aufnahmen öffneten mir die Tür zu einer neuen Welt des Ausdrucks.
Sie haben zunächst am Zentralen Konservatorium von Peking studiert, sind dann mit 20 Jahren an die Hochschule für Musik und Theater München gekommen und haben Ihr Studium an der Kronberg Academy fortgesetzt. Wie haben Sie den Wechsel nach Europa empfunden?
Wenn man klassische Musik ernsthaft lernen möchte, sollte man nach Europa gehen, ähnlich wie man für echtes chinesisches Kochen nach China gehen sollte. Der Übergang war natürlich, aber auch eine spannende Herausforderung. Ich lernte viel, was ich zuvor nicht gekannt hatte, und die Zusammenarbeit mit talentierten Musikern war inspirierend.
Gab bzw. gibt es zwischen dem Bratschenstudium in China und dem Bratschenstudium in Deutschland Unterschiede?
Ja und nein. Mein Professor in China hatte auch in Deutschland studiert und war Absolvent der Hochschule für Musik Köln. Ich bekam von klein auf eine sehr „deutsche“ Ausbildung, was sich auch nach meinem Umzug nach München bestätigte. Ich hatte nicht das Gefühl, viel Zeit und Energie für Korrekturen aufwenden zu müssen. Mein Verständnis mit meinem Professor Hariolf Schlichtig war von Anfang an sehr harmonisch. In China lag der Fokus oft auf technischer Perfektion, während in Deutschland mehr Wert auf musikalische Interpretation, Ausdruck und individuelle Musikstile gelegt wird.
Die traditionelle Musik Ihres Heimatlandes China zählt zu der ältesten der Menschheit. Haben Sie zu dieser Musik eine besondere Beziehung?
Ja, ich habe eine tiefe Verbundenheit mit der traditionellen chinesischen Musik und Instrumenten wie der Gu Zheng und Erhu. Ich sehe viele Gemeinsamkeiten mit westlichen Instrumenten, und diese Musik prägt meinen musikalischen Ausdruck und meine kulturelle Identität.
Im Jahr 2018 haben Sie einen fulminanten ersten Preis beim Internationalen ARD-Musikwettbewerb gewonnen. Wie empfinden Sie diese Wochen der Anspannung, der Konzentration und des Hoffens im Nachhinein?
Ich stellte mir jede Runde als ein Konzert vor, als eine Gelegenheit, Musik mit dem Publikum zu teilen. Ich war überzeugt, dass die Musik, die ich liebe, bei den meisten Zuhörern und Juroren Anklang finden würde. Gleichzeitig war es eine intensive und herausfordernde Zeit, da ich in nur sieben Tagen vier ganz unterschiedliche Stilrichtungen und vollständige Konzerte präsentieren musste, dazu muss man noch zwischendurch mit zwei verschiedenen Orchestern proben. Der Druck war hoch, aber ich habe viel über mich selbst gelernt, und die Erfahrung hat mich als Musiker stark geprägt. Ich bin sehr dankbar, dass der ARD-Wettbewerb mir eine solche Plattform geboten hat.
Nun leben Sie seit zwei Jahren in Berlin und sind Solist bei einem der weltbesten Orchester, den Berliner Philharmonikern. Ist damit für Sie ein Traum in Erfüllung gegangen?
Ja, das ist ein großer Traum, der in Erfüllung gegangen ist, auch wenn ich eine große Leidenschaft für andere Arten von Musik wie Solo- und Kammermusik habe. Ich erinnere mich, dass ich mit zehn Jahren zum ersten Mal die fünfte Symphonie von Beethoven unter der Leitung von Herbert von Karajan im Fernsehen hörte und sofort von der Musik fasziniert war. Es ist eine Ehre, Teil eines so renommierten Orchesters zu sein und mit so vielen talentierten Musikern zu spielen.
Was machen Sie, wenn Sie nicht üben, proben oder auf dem Konzertpodium sitzen?
Ich genieße es, Zeit mit meiner Familie und Freunden zu verbringen, zu reisen und mich mit verschiedenen Kunstformen auseinanderzusetzen. Außerdem lese ich gerne, um meinen Horizont zu erweitern. Dieses Jahr erwarten wir unser erstes Kind, und meine Frau und ich freuen uns sehr darauf. Ich bin gespannt, welche Veränderungen unsere Tochter in meinem Leben und meiner Musik bewirken wird; sie wird sicherlich der wichtigste Teil meiner Freizeit sein, wenn ich nicht auf der Bühne stehe.
Diyang Mei, vielen Dank für dieses Interview!
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