Ein Gastbeitrag von Beatrice Ballin im Orchestergraben
Die luxemburgische Pianistin Cathy Krier veröffentlichte in diesen Tagen ihre einzigartige neue CD „Piano Poems“. Das nahm Beatrice Ballin zum Anlass, mehr über ihr Leben und ihren Alltag erfahren zu wollen und erhielt interessante Antworten.
Cathy Krier, sie haben gerade Ihre sechste CD „Piano Poems“ veröffentlicht. Sie sind mit Musik groß geworden, haben schon als Kind erste Konzerte gegeben, Wettbewerbe gewonnen und sind eine bekannte Pianistin. Kurz: Die Musik hat von klein auf Ihr Leben bestimmt. Was wäre aus Ihnen geworden, wenn es mit der Pianistenkarriere nicht geklappt hätte?
Das ist eine gute Frage. Ich weiß es nicht! Hätte ich mich nicht für die Musik entschieden, hätte ich sicherlich Philosophie oder französische Literatur studiert. Aber was ich damit gemacht hätte, keine Ahnung…
Sie sind nicht nur eine international bekannte Pianistin und zudem Professorin für Klavier am Konservatorium der Stadt Luxemburg, sondern haben auch eine Familie. Wie sieht der Alltag einer Konzertpianistin aus?
Mein Alltag ist sehr durchgetaktet. An einem normalen Wochentag, an dem ich auch mittags unterrichte, bringe ich meine Kinder morgens um 8 Uhr in die Schule, komme nach Hause und trinke noch einen Kaffee, während ich meine Mails durchgehe. Danach wird geübt bis Mittag. Je nachdem wieviel ich zu üben habe, schalte ich dann auch schon mal das Telefon stumm. Man wird heute so vielseitig beansprucht und sich dann zu konzentrieren, kostet so viel extra Energie! Ich unterrichte meistens ab 13 Uhr und versuche abends rechtzeitig zuhause zu sein, um den Kindern eine Gutenacht-Geschichte zu lesen oder ihnen zumindest einen Gutenacht-Kuss zu geben.
Ich denke, mein Alltag ist ein ganz normaler Familienalltag. Die Herausforderung liegt in der gerechten Aufteilung aller Aufgaben.
Wie verbringen Sie den Tag, an dem Sie abends ein Konzert geben?
Bevor ich Kinder hatte, war ein Konzerttag unglaublich ritualisiert. Ich plante, wann ich übe, wieviel und was ich esse. Auch habe ich mich immer nachmittags nochmals hingelegt. Mit Kindern muss man entspannter werden! So ein Tag ist eigentlich komplett unrealistisch mit kleinen Kindern und funktioniert nur selten. Es kann nur schief gehen und endet letztlich in Panik. Aber das hat auch etwas Gutes: Ich bin viel entspannter geworden und versuche den Tag wie ein ganz normaler Tag anzugehen. Die Kunst ist es nur die Energie auf den Tag anders zu verteilen und sich ab einer bestimmten Uhrzeit zurückzuziehen.
Haben Sie vor einem Auftritt ein bestimmtes Ritual oder haben Sie einen Talisman, der sie zu Konzerten oder sogar aufs Podium begleitet?
Ich über immer eine Stunde vor dem Auftritt 30 Minuten lang. Dann spiele ich Mozarts F-Dur Sonate KV.332. Das ist meine „Alles-wird-gut-Sonate“. Danach meditiere ich und esse eine Banane.
Die Sängerin Cecilia Bartoli bekennt sich ebenso dazu wie die Dirigentin Joanna Mallwitz: Vor jedem Auftritt haben sie entsetzliches Lampenfieber und fragen sich „Warum habe ich diesen Beruf ergriffen?“ Wie ist es bei Ihnen?
Dieses Gefühl kenne ich sehr, sehr gut! Deswegen habe ich die letzte Stunde vor dem Konzert ritualisiert. Das hilft mir sehr. Die Kraft der Meditation ist unfassbar. Es hilft natürlich zur Konzentration, aber nicht nur: Es beruhigt und zwingt einen zur Fokussierung.
Sie sind durch und durch Profi. Dennoch: Hatten Sie während eines Konzerts schon mal einen Blackout?
Natürlich und ich glaube niemandem, der behauptet es sei ihm noch nie passiert. Aber die Kunst ist es nicht, keinen Blackout zu haben, sondern sich retten zu können. Wie das funktioniert weiß ich auch nicht. In solchen Situationen übernehmen Urinstinkte.
Wie sehen Sie die Rolle der klassischen Musik in unserer Gesellschaft in 30 Jahren?
Es wird immer Platz geben für klassische Musik, sowie es immer einen Platz geben wird für Literatur und Kunst im Allgemeinen. Die Menschen brauchen Kunst, nach der sie streben können, die sie zwingt nachzudenken und sich mit verschiedenen Themen auseinanderzusetzen. Die große Herausforderung liegt meiner Meinung nach in der Art und Weise wie wir Menschen ansprechen und überzeugen möchten. Werden traditionelle Konzertformate überleben? Wird der Musikkonsum vollständig über Streamingplattformen passieren? Das sind spannende Zeiten! Ich kann mir gut vorstellen, dass sich die Konzertszene spalten wird. Große Konzerthallen werden weiterhin bestehen bleiben, aber ich sehe die Lust und den Willen bei meinen Kollegen und mir, kleinere, „mutigere“ Konzertformate anzubieten. Konzerte, um auch einfach Spaß zu haben und diese Freude zu teilen. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass man die Musik und die Konzertformate, von denen man selbst vollkommen überzeugt ist, als Musiker anbieten soll. Menschen fühlen, wenn man ehrlich ist und vertrauen einem dann.
Was würden Sie Ihren Kindern raten, wenn sie ebenfalls eine Karriere als Musiker anstreben würden?
Der Wettbewerb in der Musikbranche ist überall vorhanden. Es gibt Prüfungen am Konservatorium, dann Aufnahmeprüfungen an den Hochschulen, danach Wettbewerbe, Orchestervorspielen etc.
Das kann schon heftig sein für die Psyche und das Selbstvertrauen junger Menschen. Denn, anders als beim Sport, kann man eine Leistung nicht klar definieren. Jede Bewertung bleibt bis zu einem gewissen Punkt subjektiv. Obwohl es absolut normal ist, gefallen zu wollen, darf das niemals das Ziel sein. Man sollte sich nicht von diesem Gefühl leiten lassen. Wichtig ist es, sehr ernsthaft und völlig ehrlich zu musizieren. Denn wenn man zufrieden und im Frieden ist mit seiner eigenen Leistung, kann die Meinung anderer Menschen einen weniger aus der Bahn werfen.
Kann KI einen menschlichen Pianisten ergänzen?
Ich bin fasziniert von den Kapazitäten der KI. Aber was KI noch nicht hat, sind Emotionen und Gefühl. Kunst und besonders Musik sind zwar intellektuelle Konstrukte, werden aber zum Leben erweckt durch die Emotionen und die Gefühle der Musiker, die sie spielen. Die Magie des Anschlags am Klavier, der Anpassung des Spiels an die Akustik eines Saales ist etwas durch und durch Menschliches. Der Interpret haucht der Partitur Leben ein.
Cathy Krier, vielen Dank für dieses Gespräch!
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