Der Salzburger Violinist hat bisher 66 Tonträger aufgenommen – und Appetit auf mehr.
"„Wer viel weiß, will noch mehr wissen“, hat der Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki gesagt. Thomas Albertus Irnberger ist ein Paradebeispiel für diesen Sinnspruch. Der 39-jährige Salzburger ist hauptberuflich Geigenvirtuose, seinem Wesen nach aber vor allem ein Neugieriger. Ein Mann, der aus Leidenschaft Wissen anhäuft, hauptsächlich, aber nicht nur auf dem Feld der Musik. Der Sohn eines Arztes hortet in seinem Haus tausende Bücher, eine Sammlung betagter Briefe, 17 historische Konzertflügel und zudem eine Kollektion alter Autos. Rekordverdächtig liest sich zudem die Zahl der veröffentlichten Tonträger unter seinem Namen: 66 sind es bisher – vier mehr, als der Rockexzentriker Frank Zappa in seinem ganzen Leben herausgebracht hat.
Warum so viel? Die Entdeckungslust beflügelt ihn – und der Wunsch, dem Publikum neue Horizonte zu eröffnen, sagt Irnberger. Wie auf seinem jüngsten Album, das das bekannte Violinkonzert von Jean Sibelius, aufgenommen mit dem Royal Philharmonic Orchestra, mit kammermusikalischen Finessen des Finnen paart. „Man gewinnt so einen ganz anderen Eindruck vom Output des Komponisten“, sagt Irnberger, der bei einem Wiener Label veröffentlicht und seine Alben stets mit einem „Bildungsauftrag“ verbunden sieht. Ein Auftrag, der ihn immer wieder zu den weißen Flecken auf der Landkarte des Klassikrepertoires führt: Irnberger hat Raritäten des russischen Romantikers Jules Conus zutage gefördert, hat Musik von Karl Goldmark und anderen, einst verfemten jüdischen Komponisten ausgegraben. Und: Als Kammermusikpartner von Barbara Moser macht er sich immer wieder um vergessene Komponistinnen verdient – darunter auch eine Tonsetzerin namens Vítězslava Kaprálová, die früh verstorbene Schülerin von Bohuslav Martinů.
Wäre es übertrieben, Irnberger eine Ein-Mann-Enzyklopädie zu nennen? Allein auf dem Gebiet der Violinkonzerte beherrscht er nach eigenen Angaben mehr als 160 Werke. Ein jedes davon hat er nicht nur mit Notentext, sondern auch mit begleitender Literatur akribisch erarbeitet. Darum sitze dieses Repertoire so fest in seinem Kopf, dass „ich in der Lage bin, damit innerhalb von drei, vier Tagen irgendwo einzuspringen“.
Allerdings: Auf den Bühnen agiert Irnberger „sehr selektiv“. Der Geiger mit dem kristallklaren Timbre, der mit 15 im Brüsseler Palais des Beaux-Arts debütiert hatte, bespielte in der Vergangenheit viele namhafte Bühnen Europas. Zuletzt wurde er aber zunehmend wählerisch. Der Grund: Ein Unbehagen gegenüber den knappen Probenzeiten für Orchesterkonzerte. Irnberger will eine tiefschürfende Interpretation liefern, keine eilige Notenwiedergabe. Auch stört ihn, wie subjektiv viele Kollegen zu Werke gehen: „Sie reden im Interview gern von persönlichen Gefühlen. Dabei geht es doch vor allem darum, was der Komponist empfunden hat – und ob wir gut genug sind, das zu transportieren.“Als Studiokünstler bleibt Irnberger seinen Ambitionen jedenfalls treu – und so emsig wie bisher. Noch vor Weihnachten erscheint ein neues Album, diesmal mit Violinsonaten von Messiaen, Poulenc und Ravel, weitere Projekte sind schon in Planung. „Die Arbeit geht mir nicht aus.“"
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