top of page
Myron Silberstein, Fanfare Magazine

"Unbedingt zu empfehlen."

"In ihren aufmerksamen Programmhinweisen zu diesem Album mit dem Titel The Last Epiphany nach dem achten von Norbert Glanzbergs außergewöhnlichen In Memoriam-Holocaust-Liedern sprechen Thilo Dahlmann und Hedayet Jonas Djeddikar sofort an, worauf die Leser des Titels dieser Rezension sicher schon neugierig sind: dass diese CD "Kompositionen gegenüberstellt, die gegensätzlicher kaum sein könnten". Was macht Glanzbergs Zyklus von 1983 - Vertonungen von Texten von Opfern des Holocaust (darunter mehrere, die in den Todeslagern der Nazis umkamen) - zwischen Brahms' Vertonungen deutscher Volkslieder und Schuberts Vertonung von Johann Mayrhofers anspruchsvollem Gedicht über Vergeblichkeit und Isolation?

 

Die Musiker schreiben, sie hätten sich "von Norbert Glanzbergs kompositorischem Ansatz leiten lassen, dem Grauen mit Schönheit zu begegnen". Die Brahms-Lieder "verkörpern die größtmögliche Unschuld und Unbefangenheit in Text und Musik", während die Schubert-Lieder "voller Trauer und Melancholie" sind. Dazwischen liegt Glanzbergs Musik, die gleichermaßen schmerzlich zart und voller Empörung und Schmerz ist.

 

Doch das Programm von Dahlmann und Djeddikar bietet mehr als nur Kontraste. Sie haben die Brahms-Lieder in einer sich stetig verdunkelnden Reihenfolge programmiert, die den „Sonntag“ inmitten der Volkslieder einschließt. Beginnend mit dem süßen Liebeskummer von "All meine Gedanken", in dem die Geliebte die Stimmung des Sprechers sogar in ihrer Abwesenheit hebt, und über verschiedene spielerisch kokette Lieder, in denen junge Frauen ihre Verehrer davon abhalten, ihre "Gärten" zu betreten, damit sie nicht leichtfertig mit den Schätzen umgehen, endet der Brahms-Zyklus mit Liedern, die sich auf Weinen und Unbeständigkeit konzentrieren. Dahlmann und Djeddikar schreiben, dass diese letzten Lieder "unverkennbar auf den Übergang zum zweiten Teil mit Glanzbergs Liedern und ihren so ganz anderen, so ernsten Themen zusteuern". Ich würde noch weiter gehen. Der Schluss von Brahms' "Da unten im Tale", in dem der Sprecher hofft, dass es für die scheidende Geliebte "anderswo besser wird", steht in einem expliziten Dialog mit Glanzbergs "Im Gefängnis", in dem der Sprecher allen gefangenen Vögeln die Freiheit und den Leidenden sanfte Lichtschimmer durch dunkle Wolken als Symbol der Hoffnung wünscht. Einfach ausgedrückt, ist dies eine subtile, überraschende und brillante Programmgestaltung.

 

Glanzbergs Zyklus ist eindeutig das Herzstück des Programms und dürfte potenziellen Zuhörern am wenigsten bekannt sein. Norbert Glanzberg wurde 1910 in Galizien geboren, schrieb die Filmmusik zu Billy Wilders The Wrong Husband von 1931, spielte im Pariser Exil Klavier für Django Reinhardt, nachdem Goebbels ihn denunziert hatte, tourte mit Edith Piaf und schrieb für sie, und überlebte die Nazi-Besatzung dank der Bemühungen von Freunden wie Georges Auric und René Laporte, die ihn bis zum Ende des Krieges versteckten. Den Rest seines langen Lebens verbrachte er in Paris, wo er 2001 im Alter von 90 Jahren starb. Glanzbergs Zyklus ist eindeutig das Herzstück des Programms und dürfte potenziellen Zuhörern am wenigsten bekannt sein.

 

Angesichts der Herkunft und des Inhalts der Texte könnte man erwarten, dass In Memoriam ein hartes, turbulentes Werk des Pessimismus ist. Stattdessen ist es von einer zarten, zerbrechlichen Schönheit durchdrungen. Glanzbergs kabarettistischer Hintergrund steht im Vordergrund, aber kaum als Standardsprache; er scheint volkstümliche Akkordfolgen und melodische Gesten zu verwenden, um die verlorene Unschuld zu beschwören. "Für Ule", das Adam Kuckhoff nach seiner Verurteilung zum Tode wegen seiner Arbeit in einer Widerstandsgruppe als Abschiedsgruß für seinen fünfjährigen Sohn schrieb, ist eine sanft trällernde Berceuse, reich an Septakkorden - fast ein Volkslied in seinem musikalischen Profil. "Du Alter Baum" - eine Ansprache an den Baum, der Zeuge der Meilensteine im Leben der Sprecherin war, von ihren Kindheitsspielen über ihren ersten Kuss bis hin zu dem Bösen, das alles um ihn herum zerstört - wechselt schubertsche Passagen rein diatonischer Melodie und Begleitung mit Passagen üppiger Poulencscher Harmonien ab. In "Abschied" und "Nachtgedanken" verwendet Glanzberg eng beieinander liegende Nonenakkorde und hinzugefügte Akkorde in einer Weise, die eine expressionistische Klangwelt suggeriert, löst diese Akkorde aber schnell wieder in vertrautere Harmonien auf. Dies ist eine meisterhafte Nutzung der Breite von Glanzbergs musikalischem Wissen. Es ist zum Beispiel bezeichnend, dass die kämpferischeren Lieder des Zyklus punktierte Rhythmen und übermäßige Dreiklänge in einer Weise verwenden, die sicherlich an Wagners Walküre-Leitmotiv erinnern soll.

 

Thilo Dahlmann ist ein Bassbariton von ungewöhnlicher lyrischer Ausdruckskraft. Er kann gewiss einen heroischen Klang erzeugen, aber selbst in den heftigsten Passagen bellt er seine Worte nicht, und er bricht kaum sein Legato. Sein sanfterer Gesang ist reich an Ton, aber nicht dick, und intim, aber nicht croonend. Bei unterschiedlichen Personen in den Texten von Brahms' Volksliedern erzeugt er subtil unterschiedliche Klangfarben für männliche und weibliche Charaktere ohne Karikatur oder stimmliche Verzerrung; stattdessen hört man Unschuld und Laszivität stimmlich personifiziert. Hedayet Jonas Djeddikar ist ein ausdrucksstarker und wendiger Pianist, der sehr viel Gefühl für Farben hat. Sowohl Glanzberg als auch Schubert nutzen die Wechsel von Dur zu Moll und wieder zurück, und so auch Djeddikar. Die Technik stellt das Klavier ziemlich weit in den Hintergrund - oder stellt vielleicht die Stimme zu weit nach vorne; das erste Geräusch auf der Scheibe ist ein kräftiges Einatmen, das bei einer Live-Aufführung sicher kaum zu hören gewesen wäre. Es wird dennoch klar, wie sehr Djeddikars Begleitung zum ausdrucksstarken Profil eines jeden Liedes beiträgt.

 

Natürlich gibt es viele andere Aufnahmen der Lieder von Brahms und Schubert, und es gibt zwei andere Aufnahmen Glanzbergs, die derzeit bei Presto Music gelistet sind. Aber Vergleiche sind in diesem Fall müßig; Dahlmann ist ein so effektiver Vermittler dieser Lieder, dass ich beim Zuhören nicht feststellen konnte, was er anders gemacht hat als Schwarzkopf oder Fischer-Dieskau. Gleichsam wichtig ist, dass das Programm an sich eine musikalisch-emotionale Erfahrung bietet, die meines Wissens völlig ohne Beispiel ist. Der feine Gesang in Verbindung mit dem hervorragenden Programm macht diese CD zu einem wahrhaft kraftvollen Werk. Unbedingt zu empfehlen."

Übersetzung Thilo Dahlmann





 

Comments


bottom of page