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Ekkehard Pluta, Klassik heute

"... vermögen diese Lieder direkt zu berühren"

"Der Name Norbert Glanzberg (1910-2001) dürfte den meisten Freunden klassischer Musik nicht viel sagen, denn sein bescheidener Nachruhm gründet sich auf einige – darunter auch populäre – Kompositionen auf Gebieten, die man gemeinhin eher der Unterhaltungsmusik zuordnet. Seine Laufbahn wurde – wie die so vieler jüdischer Künstler in seiner Zeit – durch das Dritte Reich jäh unterbrochen. Anders als viele andere konnte er die Schrecknisse überleben. Nach dem Klavier- und Kompositionsstudium in Würzburg begann er als Kapellmeister in Aachen und – von Emmerich Kálmán entdeckt – in Berlin, hatte auch schon frühe Erfolge als Filmkomponist in Streifen von Billy Wilder und Max Ophüls. Vor den Nazis nach Frankreich geflohen, wurde er dort nach dem Einmarsch der deutschen Truppen von Freunden versteckt, darunter Edith Piaf. Nach dem Krieg schrieb er zahlreiche Chansons nicht nur für die Piaf, sondern auch für Yves Montand und später Mireille Mathieu, und komponierte die Musik zu Filmen wie Der Kurier des Zaren und Tatis Mon oncle.


Die Wendung zur klassischen Musik kam spät und überraschend. Glanzberg war schon in seinen 70ern, als er in seinem Zyklus In Memoriam – Holocaust-Lieder eine Gedicht-Anthologie von Opfern des Nationalsozialismus vertonte. Verfolgte, inhaftierte und ermordete Künstler und Widerstandskämpfer äußern sich ganz privat, oft buchstäblich im letzten Moment vor ihrem Tode wie Johanna Kirchner, Hubert Gsur, Adam Kuckhoff und Ernst Munzinger. Aus dem Exil dichteten Hugo Wolfgang Philipp und Theodor Kramer, aus dem Rückblick Chris Hornbogen und Werner Bergengruen, dessen Gedicht Die letzte Epiphanie aus dem Zyklus Dies irae dem vorliegenden Album den Titel gibt. Bergengruen, noch zu meiner Schulzeit ein bekannter Autor, war ein stiller Widerstandskämpfer aus der Überzeugung seines christlichen Glaubens, blieb aber von den Nazis weitgehend unbehelligt.


Wenn man sich den musikalischen Werdegang Glanzbergs vor Augen hält, wird man nicht überrascht sein, dass er sich in diesem Liedzyklus von der Avantgarde seiner Zeit völlig unberührt zeigt und von dem Verdikt Theodor W. Adornos gegen die tonale Musik nichts wissen will. An Schönbergs Ein Überlebender aus Warschau darf man bei seinen ganz in der Tradition des romantischen Klavierlieds gehaltenen Kompositionen nicht denken. Er setzt die formal durchweg schlichte und anrührende Poesie musikalisch entsprechend einfach und eingängig um, ein Aufschreien vernimmt man nur selten, am deutlichsten in Theodor Kramers Der Ofen von Lublin. Bergengruens aufwühlende Schreckensbilanz der 12 Nazi-Jahre An die Völker der Erde lässt Glanzberg mit den hinzugefügten Rufen „Freedom! Shalom!“ dennoch hoffnungsvoll enden.


Eingebettet ist Glanzbergs Zyklus in 16 (von 49) Titeln aus der Sammlung Deutsche Volkslieder WoO 33 von Johannes Brahms und Franz Schuberts Vertonung von Johann Baptist Mayrhofers Gedicht Abendstern. Stilistisch fügt er sich den großen Vorbildern fast nahtlos ein. Der Kontrast liegt also in den gesungenen Inhalten, in der „zerbrochenen Unschuld“, wie es die beiden Interpreten der Aufnahme nennen, der Bariton Thilo Dahlmann und der Pianist Hedayet Jonas Djeddikar. Dahlmann, vom Begleiter entsprechend unterstützt, beherrscht die Kunst der Diskretion, die nicht mit Indifferenz gleichzusetzen ist. Den leichten, ungekünstelten Vortragsstil, der den Volksliedern angemessen ist, pflegt er auch in den Holocaust-Gesängen. Da gibt es nichts Prätentiöses, kein Betroffenheits-Pathos und gerade dadurch vermögen diese Lieder direkt zu berühren."



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