"Drei Bände mit Etüden für Klavier hat György Ligeti geschrieben, den ersten 1985, den zweiten zwischen 1988 und 1994, den dritten zwischen 1995 und 2011. Fasst man zusammen, was die Musikwissenschaft darüber gesagt hat, sind diese Etüden ‘poly’: polyphon, polyrhythmisch, polytemporal und polyethnisch, denn schließlich verwendet der Komponist darin Material der verschiedensten europäischen wie außereuropäischen Musikkulturen.
György Ligeti hat auch gesagt, dass er mit diesem Opus vorhatte, « …extrem virtuose Klavierstudien zu komponieren. (…) Die Musik ist weder avantgardistisch noch traditionell, weder tonal noch atonal… Es sind (…) Studien im pianistischen Sinne und vom Standpunkt ihrer Komposition aus. Sie gehen von einer sehr einfachen Idee aus und führen von der Einfachheit zu großer Komplexität: Sie verhalten sich wie wachsende Organismen. »
In den Interpretationen von Cathy Krier wird diese Vielfältigkeit ebenso deutlich wie die Granularität der Rhythmen, auf die Ligeti ja mehrmals hingewiesen hat. Aber die Pianistin interessiert sich nicht nur für die technische Seite der Musik, sie versucht, den Etüden Ausdruckskraft zu geben, sie so attraktiv wie möglich werden zu lassen, ja sie macht daraus eine unmittelbar ansprechende, äußerst vitale Musik, voller Spiellust, voller Kontraste, Miniaturen von aalglatt bis zerzaust, über berserkerhaft, humoristisch, motorisch, nostalgisch, schwindlig… Der Fantasie des Hörers sind da keine Grenzen gesetzt, und man muss sich ja nicht unbedingt an den Titeln des Komponisten festkrallen, wenngleich diese eine hilfreiche Guideline sind und ja auch von Ligeti nicht zufällig gewählt wurden.
Mein verstorbener Kollege Guy Wagner hat mir einmal erzählt, wie ihn Ligeti bei einem Interview bat, mit ihm doch luxemburgisch zu sprechen. Der Komponist stammt tatsächlich aus Siebenbürgen, wo man eine Sprache spricht, die dem Luxemburgischen sehr nahe kommt, weil vor 800 Jahren viele Menschen aus der Moselregion (heutiges Luxemburg, Lothringen, Rheinland-Pfalz) dorthin auswanderten. Und Ligeti hatte nach dem Gespräch Wagner versichert, er habe 70% von dem verstanden, was der Luxemburger gesagt hatte. Und so wie Ligeti das Luxemburgische verstand, so versteht auch die Luxemburgerin Cathy Krier die Tonsprache von Ligeti, auch wenn diese mit Siebenbürgen nichts zu tun hat."
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